Geschrieben am 09.04.2008 in Kategorie: Missionen der bemannten Raumfahrt
Interview mit Projektleiter Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Am 3. April 2008 hat das erste Automated Transfer Vehicle (ATV) "Jules Verne" an die Internationale Raumstation ISS angekoppelt. Volker Schmid, Raumfahrtingenieur und Mitarbeiter der Raumfahrt-Agentur des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), ist Projektleiter für ATV. Er betreut die technische Entwicklung des Raumtransporters und koordiniert die nationalen Interessen innerhalb des Projektes. Im Interview beschreibt er, welches Potenzial in ATV steckt und wie seine Zukunft aussehen könnte.
Der Raumtransporter "Jules Verne" versorgt die ISS mit 5,5 Tonnen Gütern, darunter Nahrung, Kleidung, Ersatzteile und Treibstoff. Er bleibt sechs Monate an der ISS angedockt und hebt mit seinen Triebwerken von Zeit zu Zeit die ISS in eine höhere Umlaufbahn. Am Ende der Mission, im August 2008, wird "Jules Verne" 6,5 Tonnen Abfall von der ISS aufnehmen und beim kontrollierten Rückflug in die Erdatmosphäre samt Ladung über dem Südpazifik verglühen. Die Europäische Raumfahrtorganisation ESA plant bis 2013 vier weitere ATVs ins All zu schicken.
Frage: Seit dem Beschluss der ESA 1995 einen Raumtransporter zu bauen und dem heute erfolgten Docking an die ISS sind 13 Jahre vergangen. Sie selbst sind seit 2001 Projektleiter von ATV. Wie fühlen Sie sich nach dem erfolgreichen Docking?
Volker Schmid: So, wie wenn man nach einem Marathonlauf die Ziellinie überquert, man fühlt sich einfach gut. Genau so geht es mir auch. Ich war ehrlich gesagt nicht besonders aufgeregt. Seit dem Start am 9. März 2008 lief das Ariane-ATV-System wie ein Uhrwerk, das ist wirklich beeindruckend. Es macht mich einfach stolz, dass wir das in Europa geschafft haben und dass alles so reibungslos ablief.
Frage: ATV ist ein völlig autonomes Raumfahrzeug, was haben die Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation ISS während des Dockings gemacht?
Volker Schmid: Über ein Kontrollpult und Laptops im russischen Swesda Modul, an dem ATV gekoppelt wurde, konnte die Crew das Docking verfolgen. Am Raumtransporter befindet sich das so genannte "Target Pattern", ein beleuchtetes Fadenkreuz, das durch die ATV-Automatik genau zur Deckung mit dem russischen Modul gebracht werden muss. Bis einen Meter vor dem Docking, dem so genannten "Crew Hands Off Point", können die Kontrollzentren oder die Crew jederzeit eingreifen, um beispielsweise eine Kollision zu vermeiden. Die Befehle hierfür sind "Retreat", das heißt, der Raumfahrzeug wird auf Knopfdruck bis zum nächsten Haltepunkt zurückgesetzt, "Resume" bedeutet, die Mission wird wieder aufgenommen. Der Befehl "Escape" führt den Raumtransporter auf 39 Kilometer hinter die ISS zurück. "Abort" nenne ich den "Notaus-Knopf", ihn verwendet man zum Beispiel bei Computerausfällen.
Die Crew hat eine Tabelle, auf der alle Fälle aufgelistet sind und weiß, wann es notwendig ist, die "Abort-Taste" zu drücken. Dann wird das ATV automatisch für einen gewissen Zeitraum auf einen Sicherheitsabstand 39 Kilometer hinter und fünf Kilometer unterhalb der ISS zurückkehren. Dort wird es getestet und anschließend ein neuer Anflug durchgeführt.
Frage: Jules Verne ist von einer Isolationsfolie, den so genannten "Thermal Blankets", umgeben. Die Aufnahmen der NASA zeigen, dass es zu Ablösungen der Folien gekommen ist. Wie kam es zu diesem Zwischenfall?
Volker Schmid: Es ist möglich, dass die Folien durch das Absprengen der Nutzlastverkleidung nach dem Raketen-Start berührt und ein Teil der Folie beschädigt wurde. Es werden bereits Analysen durchgeführt. In den nächsten Wochen wird man konkrete Aussagen darüber machen können, wie es zu dieser Ablösung kam.
Für die Mission selbst ist dies jedoch unkritisch, es führt lediglich zu einem höheren Heiz- oder Kühlungsprozess, der mit einem geringfügig höheren Strombedarf von ATV verbunden ist. Nach dem Docking liefert die ISS den Strombedarf für das Raumfahrzeug, der dadurch etwas höher ausfällt. Beim Betreten von ATV wird sich zeigen, ob sich im Innern der Nutzlast die Temperaturen verändern.
Frage: Das ATV-Kontrollzentrum der ESA in Toulouse überwacht die Mission. Das Deutsche Raumfahrt-Kontrollzentrum des DLR in Oberpfaffenhofen ist neben dem NASA-Kontrollzentrum in Houston und der Russischen Raumfahrtbehörde ROSKOSMOS ebenfalls am so genannten "Interconnection Ground Subnetwork" beteiligt. Welche Aufgaben übernimmt das deutsche Raumfahrtkontrollzentrum genau?
Volker Schmid: Das Raumfahrt-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen ist praktisch der Vermittlungsknoten für die einzelnen Kommunikationskanäle. Es ist für die gesamte Kommunikation zwischen den unterschiedlichen, weltweit verteilten Kontrollzentren von ATV verantwortlich. Darüber hinaus ist das DLR in Oberpfaffenhofen ja auch für die Steuerung des Columbus Raumlabors tätig und verfügt deshalb über große Erfahrungen auf diesem Gebiet.
Frage: Warum hat man sich zum Bau eines nicht wieder verwendbaren Raumfahrzeugs entschlossen?
Volker Schmid: Theoretisch hätte man ATV wieder verwendbar machen können. Es gibt Studien seitens der ESA, die solche Lösungen bis zu einer gewissen Detailtiefe untersucht haben. ATV war aber von Anfang an als nicht wieder verwendbares Raumfahrzeug ausgelegt. Nach Beendigung der Mission wird es mit Abfall beladen, kontrolliert in die Erdatmosphäre zurückgeführt und über dem Südpazifik verglühen. Ein wieder verwendbarer Raumtransporter müsste über ein Thermalschutzsystem verfügen und von der Form her ähnlich wie eine Apollokapsel angepasst werden. Dadurch verliert die Nutzlast an Volumen. Ein Vorteil wäre es natürlich, Proben oder Experimente zur Erde zurückbringen zu können. Für kleinere Transporte kann das aber auch mit einer Sojus-Kapsel erreicht werden.
Frage: Bis 2013 sind mindest vier weitere ATV-Flüge vorgesehen. Wie sehen die Pläne für die technische Weiterentwicklung der ATVs aus?
Volker Schmid: Technisch machbar ist grundsätzlich sehr, sehr viel. Es ist nicht auszuschließen, dass ein wieder verwertbares ATV kommen wird, aber dies ist eine politische Entscheidung.
ESA - Europäische Raumfahrtorganisation
Die ESA (European Space Agency) ist die europäische Raumfahrtorganisation.Sie bündelt Finanzmittel und Know-How der 21 Mitgliedsstaaten, um Projekte umzusetzen, die für einzelne Staaten nicht realisierbar wären.
Webseite: http://www.esa.de
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