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Sendeschluss für Herschel

Geschrieben am 11.06.2013 in Kategorie: Sonstige Missionen

Nach mehr als drei Jahren bahnbrechender Beobachtungen des kalten Universums hat das ESA-Weltraumteleskop Herschel nun wie erwartet seinen Kühlmittelvorrat aufgebraucht. Zu Missionsbeginn verfügte es über 2300 Liter Flüssighelium, das sich seit der letzten Tankauffüllung einen Tag vor dem Missionsstart am 14. Mai 2009 langsam, aber unaufhaltsam verflüchtigt hat.

Die stetige Verdunstung des Flüssigheliums war die Voraussetzung für die Kühlung der Instrumente auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, um diese so lichtempfindlich zu machen, dass sie auch das kalte Universum unter die Lupe nehmen können, wie es bis heute noch der Fall war.

Die Bestätigung dafür, dass der Heliumvorrat nun endgültig aufgebraucht ist, kam heute Nachmittag, als beim täglichen Funkkontakt mit dem Raumfahrzeug in der zuständigen Bodenstation in Westaustralien bei allen Herschel-Instrumenten ein deutlicher Temperaturanstieg festgestellt wurde.

"Herschel hat alle Erwartungen übertroffen und uns eine unglaubliche Fülle an Daten beschert, mit deren Auswertung die Astronomen noch mehrere Jahre lang beschäftigt sein werden", so Prof. Alvaro Giménez, ESA-Direktor für Wissenschaft und robotische Exploration.

Herschel hat über 35 000 wissenschaftliche Beobachtungen machen können und dabei mehr als 25 000 Stunden an wissenschaftlichen Daten aus mehr als 600 Beobachtungsprogrammen zusammengestellt. Hinzu kommen noch weitere 2 000 Stunden für Kalibrierungsbeobachtungen. Verwaltet wird der riesige Datensatz im Europäischen Weltraumastronomiezentrum (ESAC) bei Madrid.

Das Datenarchiv bildet das eigentliche Vermächtnis der Mission. Von der Auswertung verspricht man sich noch wesentlich mehr Entdeckungen, als dies in dem Einsatzzeitraum von Herschel bisher möglich war.

"Herschels revolutionäre wissenschaftliche Ausbeute verdanken wir nicht zuletzt der hervorragenden Arbeit europäischer Unternehmen, Einrichtungen und Hochschulen bei Entwicklung, Bau und Betrieb dieses Weltraumobservatoriums und seiner Instrumente", erklärte Thomas Passvogel, ESA-Projektleiter für Herschel und Planck.

Die Mission brachte auch eine Reihe technologischer Fortschritte mit sich, die künftigen Weltraummissionen und einer möglichen Nutzung von Raumfahrttechnologien in raumfahrtfremden Bereichen zugutekommen können. Genannt seien hier die Entwicklung fortschrittlicher kryotechnischer Systeme, der Bau des bisher größten Weltraumteleskopspiegels und der Einsatz der empfindlichsten direkten Sensoren für Licht im langwelligen Infrarot bis in den Millimeterbereich. Die Herstellungsmethoden für Herschel kommen bereits bei der nächsten Generation von Weltraummissionen der ESA zum Einsatz, u. a. bei der Mission GAIA.

"Herschel hat uns ein neues Bild des bisher verborgenen Teils des Universums präsentiert und bisher nicht beobachtbare Prozesse bei der Entstehung von Sternen und Galaxien aufgezeigt. Seine Daten ermöglichen uns auch die Untersuchung von Wasservorkommen im All, sei es in Molekülwolken oder neugeborenen Sternen und ihren protoplanetaren Scheiben und Kometengürteln", sagte Göran Pilbratt, ESA-Projektwissenschaftler für Herschel.

Blick in die Sternenkinderstube

Herschels atemberaubende Bilder ineinander verwobener Staub- und Gasfilamente in unserer Milchstraße sind eine Art illustrierte Geschichte der Sternenentstehung. Diese einzigartigen Beobachtungen im langwelligen Infrarot haben den Astronomen eine neue Vorstellung davon gegeben, wie Turbulenzen Gas im interstellaren Raum aufwirbeln und so filament- und netzartige Strukturen innerhalb kalter Molekülwolken entstehen lassen.

Bei entsprechenden Umgebungsbedingungen gewinnt dann die Schwerkraft die Überhand und zerteilt die Filamente in kompakte Kerne. Tief eingebettet darin befinden sich die Protosterne, Embryonen neuer Sonnen, die den sie umgebenden Staub auf gerade einmal ein paar Grad über dem absoluten Nullpunkt "aufwärmen" und somit Herschels äußerst empfindlichen Instrumenten ihre Existenz verraten haben.

Dem Wasser auf der Spur

In den ersten Jahrmillionen im Leben neugeborener Sterne kann in der sie umgebenden dichten Gas- und Staubscheibe die Entstehung von Planeten beobachtet werden. Herschel hat dabei insbesondere nach Wasser geforscht, das für Leben in der uns bekannten Form von entscheidender Bedeutung ist, und dessen Vorkommen sowohl in den die Sternenembryos umgebenden Wolken als auch in Sternen und protoplanetaren Scheiben erfasst.

In diesen Scheiben konnte Herschel Wasserdampfvorkommen in der Größenordnung Tausender Erdozeane feststellen, wobei die Eisvorkommen auf Staubkörnern und Kometen noch um einiges höher waren.

Etwas näher an unserem Heimatplaneten hat Herschel außerdem die Zusammensetzung des Wassereises im Kometen Hartley-2 analysiert, dessen Isotopenverteilung praktisch dieselbe wie in unseren Meeren ist.

Diese Ergebnisse sind neuer Stoff für die Debatte, wie viel Wasser durch Kometeneinschläge auf die Erde gelangt ist. Zusammen mit den Beobachtungen riesiger Kometengürtel anderer Sterne erhoffen sich die Astronomen nun eine Antwort auf die Frage, ob ein ähnlicher Prozess auch in anderen Planetensystemen stattfinden könnte.

Ferne Galaxien

Herschel hat auch unser Wissen über die Entstehung von Sternen erweitert, und zwar in tief in den kosmischen Raum hinein- und weit in die Zeit zurückreichenden Größenordnungen. Dank seiner Beobachtungen zur Entstehung von Sternen in fernen Galaxien wurden vielerorts hohe "Geburtenraten" festgestellt, selbst in der Frühzeit des Universums vor 13,8 Milliarden Jahren.

Diese Galaxien offenbaren uns eine Sternenproduktion auf Hochtouren: Beobachtet wurden jährlich Hunderte bis Tausende neuer Sterne von der Masse der Sonne. Im Vergleich dazu kommt unsere Milchstraße im Schnitt lediglich auf einen neuen sonnenähnlichen Stern pro Jahr.

Die Frage, wie Galaxien in den ersten Jahrmilliarden des Universums Sterne in solch riesigen Mengen hervorbringen konnten, ist für Forscher, die sich der Entstehung und Entwicklung von Galaxien verschrieben haben, weiterhin ein Rätsel. Die neuen Daten von Herschel lassen vermuten, dass den Galaxien in der Frühzeit des Universums größere Gasmengen zur Verfügung standen, was diese hohen Wachstumsraten selbst ohne Kollisionen zwischen Galaxien ermöglichte, die normalerweise Voraussetzung für die Auslösung solch explosionsartiger Vermehrungen sind.

"Auch wenn Herschel keine Messungen mehr vornehmen kann, ist dies noch lange nicht das Ende der Mission: Uns steht noch eine Fülle an Entdeckungen bevor", prophezeit Dr. Pilbratt. "Wir werden unsere Arbeit jetzt darauf konzentrieren, die Daten in Form möglichst perfekter Karten, Spektren und verschiedener Kataloge zugänglich zu machen, um so die Astronomen bei ihren laufenden und künftigen Arbeiten zu unterstützen. Natürlich sind wir betrübt darüber, dass die Beobachtungen nun ein Ende haben. Deshalb möchte ich an dieser Stelle abschließend sagen: Danke, Herschel!"

Hintergrund

Das ESA-Weltraumteleskop Herschel wurde am 14. Mai 2009 gestartet. Mit seinem Hauptspiegel mit einem Durchmesser von 3,5 m ist es das bisher größte und leistungsfähigste Infrarot-Weltraumteleskop. Seine beiden Kameras bzw. abbildenden Spektrometer, PACS (Photoconductor Array Camera and Spectrometer) und SPIRE (Spectral and Photometric Imaging Receiver), deckten Wellenlängen zwischen 55 und 670 Mikrometer ab. Ein drittes Instrument, das sehr hoch auflösende Spektrometer HIFI, deckte die Bandbreiten von 157-212 Mikrometer und 240-625 Mikrometer ab. Alle drei Instrumente befanden sich in einem mit superflüssigem Helium auf -271 °C gekühlten Kryostat. Der Kühlmittelvorrat war am 29. April endgültig aufgebraucht.

Herschel wird weiter für einige Zeit mit seinen Bodenstationen in Funkkontakt bleiben, um nach der Erschöpfung des Heliumvorrats noch eine Reihe technischer Tests durchzuführen. Im Mai wird das Raumfahrzeug dann auf einen langfristig stabilen Park-Orbit um die Sonne befördert.

Quelle

ESA - Europäische Raumfahrtorganisation
Die ESA (European Space Agency) ist die europäische Raumfahrtorganisation.Sie bündelt Finanzmittel und Know-How der 21 Mitgliedsstaaten, um Projekte umzusetzen, die für einzelne Staaten nicht realisierbar wären.

Webseite: http://www.esa.de

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© ESA