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„New Shepard“-Rakete beweist Experimenttauglichkeit

Geschrieben am 02.05.2018 in Kategorie: Sonstige Missionen

Am 29. April 2018 um 19:06 Uhr (CEST) war es soweit. Mit sehr großer Spannung hat das ZARM den Raketenstart der „New Shepard“ des privaten US-amerikanischen Raumfahrtunternehmens Blue Origin von Amazon-Gründer Jeff Bezos erwartet. Zusammen mit einem deutschen Wissenschaftsteam gehören die Ingenieure der ZARM Fallturm-Betriebsgesellschaft mbh (ZARM FAB) zu den ersten internationalen Nutzern dieses neuen, wiederverwendbaren Raketentyps, der vorrangig für den Raumfahrttourismus konzipiert ist, und ebnen damit einen neuen Weg für die Forschung unter Schwerelosigkeit.

Als Nutzlast wurden, im Auftrag des DLR Raumfahrtmanagements, gleich drei Experimente deutscher Wissenschaftler*innen in 107 Kilometern Höhe für ca. 3 Minuten der Schwerelosigkeit ausgesetzt. Das Ingenieursteam des ZARM war von Beginn an in den Verlauf der Mission „M8“ eingebunden. Sie unterstützen die Wissenschaftler*innen beim Aufbau und der Integration der Experimente in das Flugmodul, unternahmen im ZARM-eignen Vibrationslabor technische Tests, um die Belastungen des Raketenstarts zu simulieren und dadurch die technische Funktionsfähigkeit der Experimente sicherzustellen. Ebenso wurden Vorversuche im Fallturm unter Schwerelosigkeit durchgeführt, wodurch erste hilfreiche Parameter gewonnen werden konnten, die den nächsten Schritt in Richtung Weltraum vorbereiteten. Schließlich waren die ZARM-Ingenieure mit vor Ort am Raketenstartplatz „West Texas Launch Site“ in Texas, USA, wo sie die Wissenschaftler*innen vor und nach dem erfolgreichen Flug von New Shepard unterstützten. „Eine erste kurze Analyse unserer aufgezeichneten Daten zeigt, dass die Beschleunigungswerte und die Mikrogravitations-Qualität beim Flug der New Shepard Rakete unsere Erwartungen voll erfüllt haben. Eine Vertiefung der Datenanalyse sowie der wissenschaftlichen Daten werden wir zurück in Deutschland vornehmen. Dann wird klar sein, ob wir in den USA eine weitere Forschungsmöglichkeit unter Schwerelosigkeit gefunden haben“, erklärt Thorben Könemann, technischer Leiter der Mission auf Seiten des ZARM, nach dem Flug.

Was wird erforscht?

Die drei Experimente widmen sich der Untersuchung von Wasserorganismen sowie der Entstehung von Himmelskörpern unter Mikrogravitationsbedingungen.

Das Experiment Daphnia der Universität Bayreuth untersucht inwiefern Zooplankton, also winzig kleine Krebse wie z.B. der Wasserfloh Daphnia, als Grundlage für eine nachhaltige Nahrungskette z.B. auf Weltraumstationen oder Mond-/Marshabitaten geeignet ist. Bisher ist nur wenig über die Wirkung der Schwerkraft beziehungsweise der Schwerelosigkeit auf das Verhalten und die Physiologie dieser Tiere bekannt. Daher ist es wichtig, diese Auswirkungen zunächst zu überprüfen, bevor sie in Lebenserhaltungssystemen zur Nahrungsversorgung im Weltraum eingesetzt werden können.

Im Projekt EQUIPAGE der Universität Magdeburg wird die Entstehung von kosmischem Nebel und die spontane Entwicklung von Himmelskörpern untersucht. Beobachtet wird hierbei die Wechselwirkung sich ungeordnet bewegender kleinster Partikel granularer Gase. Bei Kollisionen verlieren sie mechanische Energie, tauschen Energien und Impulse miteinander aus und können schließlich spontan Cluster bilden. Mithilfe der beim „New Shepard“-Flug gewonnenen experimentellen Daten können so bekannte numerische Modelle evaluiert und verifiziert werden, um Aufschluss über die Entstehung von Partikelclustern und kosmischem Nebel zu gewinnen.

Ein anderer Aspekt der frühen Phase der Planetenentstehung in unserem Sonnensystem wirft ebenfalls noch viele Fragen auf. So ist auch weitgehend unverstanden, wie kleine, Millimeter große Partikel im frühen Sonnensystem durchmischt und transportiert wurden. Daher versuchen die Wissenschaftler*innen der Universität Duisburg-Essen mit dem Experiment EUPHORIE dem Nachweis auf die Spur zu kommen, inwieweit die Photophorese – die Bewegung kleinster Gesteinsteilchen unter dem Einfluss einer intensiven Lichtbestrahlung – als Transportmechanismus im frühen Sonnensystem in Frage kommt.

Die wiederverwendbare Rakete „New Shepard“

Mit „New Shepard“ stellt die US-Firma Blue Origin eine vollständig wiederverwendbare Rakete für suborbitale Missionen in Höhen von etwa 100 km bereit. Sie besteht aus einer etwa 20 Meter langen Antriebsstufe und einer Kapsel, die ca. vier Meter Durchmesser und einem Nutzlastvolumen von 15 Kubikmetern misst. Sobald die Rakete eine Höhe von etwa 40 Kilometer erreicht hat, trennen sich Antriebsstufe und Kapsel und fliegen weiter auf eine Höhe von etwa 100 Kilometer, bevor sie in der zweiten Phase des Fluges wieder zur Erde zurückkehren. Während die Kapsel mit ihrer Nutzlast unversehrt an drei Fallschirmen landet, fällt die Antriebsstufe zunächst ungebremst bis in eine Höhe von etwa 1000 Metern. Erst dann zündet das Haupttriebwerk erneut, der Flugkörper stabilisiert sich und setzt zu einer vertikalen und weichen Landung an, während die Kapsel sanft mit einem Fallschirm landet. Nach einer Wartung und Neubetankung wäre die Antriebsstufe theoretisch nach nur wenigen Tagen erneut startklar.

Nach Auswertung der wissenschaftlichen Experimente des M8-Testfluges von „New Shepard“ wird sich zeigen, ob kommerzieller Anbieter wie Blue Origin die vorhandene Bandbreite an Fluggelegenheiten für die Forschung unter Weltraumbedingungen – wie z.B. Höhenforschungsraketen oder der Fallturm in Bremen – zukünftig ergänzen können. Wichtige Voraussetzungen dafür sind eine langfristige Zuverlässigkeit, operationelle Flexibilität, kurze Vorbereitungs- und Zugriffszeiten, vergleichbare Dauer und Qualität der Mikrogravitation und nicht zuletzt ein konkurrenzfähiges Preis-Leistungs-Verhältnis.

Quelle

ZARM - Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation
Das Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation ist ein wissenschaftliches Institut und betreibt an der Universität Bremen Forschung für den Weltraum und unter Weltraumbedingungen.

Webseite: https://www.zarm.uni-bremen.de/

Gruppenbild
Das Team der ZARM FAB zusammen mit den Wissenschaftlern und dem Team von Blue Origin an der „West Texas Launch Site“
© ZARM