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Die Venusatmosphäre im Blick - SCIAMACHY auf ENVISAT geht fremd

Geschrieben am 23.07.2009 in Kategorie: Sonstige Missionen

Der eigentlich für die Beobachtung der Erde konzipierten Satelliten wurde erstmals zur Analyse der Venusatmosphäre eingesetzt.

Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und des SRON Netherlands Institute for Space Research haben für das Atmosphäreninstrument SCIAMACHY (SCanning Imaging Absorption SpectroMeter for Atmospheric CHartographY) auf dem europäischen Umweltsatelliten ENVISAT ein neues Einsatzgebiet gefunden. Im März und Juni 2009 blickte das Spektrometer, initiiert vom DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung und SRON, fort von seinem üblichen Ziel Erde in Richtung unseres inneren Nachbarplaneten Venus und untersuchte seine Strahlung in Wellenlängen des sichtbaren Lichts und des nahen Infrarots.

Die Durchführung dieser Beobachtungen war eine große Herausforderung, da SCIAMACHY eigentlich nicht für derartige Messungen vorgesehen war, sagt Dr. Manfred Gottwald, am DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung für den Betrieb von SCIAMACHY verantwortlich. Wir waren überrascht, wie ausgezeichnet dennoch alles funktionierte, ergänzt sein Institutskollege Dr. Sander Slijkhuis, Experte für die Kalibrierung des Instruments.

SCIAMACHY auf ENVISAT, Venus Express und CoRoT ergänzen sich

Die Venusbeobachtungen von SCIAMACHY besitzen zweifachen Nutzen. Sie unterstützen einerseits "Vor-Ort"-Messungen der Raumsonde Venus Express der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Venus Express umkreist unseren Nachbarplaneten seit 2006 und untersucht mit den Spektrometern SPICAV und VIRTIS die dichte Venusatmosphäre mit hoher Genauigkeit. SCIAMACHY auf ENVISAT und Venus Express beobachten die Venus unter unterschiedlichen Beobachtungsgeometrien und Beleuchtungsverhältnissen, sodass sich ihre Ergebnisse gut ergänzen. Darüber hinaus sind SCIAMACHYs Venusbeobachtungen ein weiterer Test dafür, wie sich ein erdähnlicher Planet spektral darstellt, wenn man ihn aus großer Entfernung betrachtet.

Seit Mitte der 90er-Jahre die ersten extrasolaren Planeten - also Planeten, die andere Sterne als die Sonne umkreisen - entdeckt wurden, ist die Suche nach erdähnlichen Begleitern von sonnenähnlichen Sternen, das heisst die Suche nach einer "zweiten Erde", eine der großen Herausforderungen der Astronomie. Gegenwärtig sind die meisten der gefundenen so genannten Exoplaneten jedoch riesige Gasplaneten, ähnlich dem Jupiter. Mit dem Weltraumteleskop CoRoT (Convection, Rotation and Planetary Transits), an dem auch das DLR beteiligt ist, gelang es 2008 erstmals, einen möglicherweise erdähnlichen Exoplaneten aufzuspüren. Doch in naher Zukunft könnten mithilfe verbesserter Teleskope auch kleine, erdähnliche Körper in Reichweite kommen. Aufgrund ihrer enormen Entfernung werden sie jedoch immer punktförmig erscheinen. Die Spektralanalyse des von ihnen gestreuten Lichts des Zentralsterns und der thermisch emittierten Strahlung könnte Aussagen darüber erlauben, ob sie geeignet sind, Leben zu beherbergen. Deshalb sind Beobachtungen der bekannten Planeten unseres Sonnensystems ein vorzügliches Experimentierfeld, um Erfahrungen hinsichtlich der Interpretation spektraler Signaturen terrestrischer Körper zu sammeln.

DLR-Planetenforscher erfreut über Interdisziplinarität

Mit den Beobachtungen an der heißen, lebensfeindlichen Venus, die von einer dichten Kohlendioxidatmosphäre umgeben ist, können in unserer unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft hervorragende Vergleichsdaten für die Analyse der Atmosphären von Exoplaneten gewonnen werden. Als Planetenforscher sind wir natürlich über diese zusätzlichen Messungen, die von einer Mission stammen, die eigentlich der Erdbeobachtung gewidmet ist, hoch erfreut, erklärt Prof. Tilman Spohn, Direktor des DLR-Instituts für Planetenforschung in Berlin-Adlershof. Er fügt hinzu: Es ist ausgezeichnet, dass diese Daten vom SCIAMACHY-Team wieder aufgegriffen wurden, sie sind uns eine Hilfe bei der Einschätzung der Daten, die unsere Experimente auf den Planetenmissionen liefern.

Wir sind sehr beeindruckt von den SCIAMACHY-Beobachtungen, freut sich auch Prof. Heike Rauer vom DLR-Institut für Planetenforschung, Projektleiterin für die DLR-Beteiligung bei der Suche nach Exoplaneten mit CoRoT. Sie ergänzt: Die neuen Ergebnisse illustrieren ausgezeichnet, welche Signaturen der Atmosphäre man erwarten würde, sollten wir einen Venus-ähnlichen Exoplaneten entdecken. Mit zukünftigen Satelliten kann dann bei solchen Planeten nach Anzeichen für eine Biosphäre, dem Lebensraum von Organismen, gesucht werden. Bei der Suche nach so genannten "Biomarkern", also Bestandteilen in der Atmosphäre und auf der Oberfläche von Planeten, die durch den Stoffwechsel von Lebewesen entstehen, arbeiten die Wissenschaftler des DLR-Instituts für Methodik der Fernerkundung in Oberpfaffenhofen mit Forschern des DLR-Instituts für Planetenforschung in Berlin-Adlershof seit längerem zusammen.

Des weiteren ist beabsichtigt, die SCIAMACHY-Messungen im Rahmen der Helmholtz-Allianz "Planetenentwicklung und Leben" zu verwenden. In einem internationalen Forschungsverbund widmet man sich hier unter anderem der Frage, welche Bedingungen auf einem Planeten herrschen müssen, damit sich Leben entwickeln kann. Hier bieten die Daten einen realistischen Hintergrund zur Modellierung des Strahlungstransports in Atmosphären erdähnlicher Planeten.

Weitere Messungen von Spektren zu verschiedenen Venusphasen werden mit SCIAMACHY geplant. Darüber hinaus laufen Studien, wie die anderen hellen Planeten unseres Sonnensystems Mars, Jupiter und Saturn ebenfalls als extraterrestrische Untersuchungsobjekte genutzt werden können.

Die Venus - hell, klein und "schwer messbar"

Die Venus ist mit 12.100 Kilometern Durchmesser fast so groß wie unser Heimatplanet. Sie erscheint, von der Erde aus gesehen, nach Sonne und Mond zwar als hellstes Gestirn - mit einem Winkel von weniger als einer Bogenminute (ein Sechzigstel Grad) wirkt sie jedoch relativ klein. Sie wird auch als Abendstern oder Morgenstern bezeichnet. Um folglich dieses kleine "Venusscheibchen" für die Dauer der Beobachtung lange genug im Gesichtsfeld von SCIAMACHY zu halten, waren umfangreiche Änderungen der Instrumentenkonfiguration erforderlich. Aufgrund der Anordnung von SCIAMACHYs Beobachtungsfenstern tauchte Venus nur kurz nach Aufgang über dem Erdhorizont auf - ein Vorgang, der sich aufgrund von ENVISATs Umlaufbahn um die Erde pro Tag 14 bis 15 mal wiederholte. Eine genaue Planung sowie zeitlich exakt durchgeführte Messungen ermöglichten schließlich die Ableitung von Venusspektren anhand der von der Venusatmosphäre reflektierten und gestreuten solaren Strahlung. Sowohl im März als auch im Juni 2009 nahm SCIAMACHY an Bord von ENVISAT in mehreren Erdumläufen Venusspektren auf.

Als innerer Planet bewegt sich die Venus schneller um die Sonne als die Erde. Deshalb veränderte sich zwischen März und Juni 2009 die Konstellation Erde-Venus-Sonne deutlich (siehe Bild). Im März 2009 stand die Venus nahe ihrer so genannten unteren Konjunktion gerade zwischen Erde und Sonne. Von der Erde aus gesehen blickte man hauptsächlich auf ihre dunkle Rückseite und sah von der sonnenbeschienenen Planetenscheibe nur eine dünne Sichel. Zu dieser Zeit betrug die Entfernung der Venus von der Erde nur 43 Millionen Kilometer. Im Juni 2009 dagegen bildeten Sonne, Venus und Erde fast ein rechtwinkliges Dreieck. Zwar war nun der Abstand der Venus von der Erde auf 127 Millionen Kilometer angewachsen, dafür lagen von der Erde aus gesehen mehr als 50 Prozent der Venusscheibe im Sonnenlicht.

SCIAMACHY auf ENVISAT

Seit 2002 befindet sich der Erdbeobachtungssatellit ENVISAT der Europäischen Weltraumorganisation ESA in der Erdumlaufbahn und liefert wertvolle Informationen über den Zustand der Erde. Das unter Federführung des DLR zusammen mit niederländischen und belgischen Partnern konstruierte Atmosphäreninstrument SCIAMACHY (SCanning Imaging Absorption SpectroMeter for Atmospheric CHartographY) an Bord von ENVISAT misst die von Erdboden und Atmosphäre zurückgestreute Sonnenstrahlung vom ultravioletten bis zum nahinfraroten Teil des Lichtspektrums. Aus diesen Messungen lassen sich die atmosphärischen Konzentrationen einer Vielzahl von Spurengasen bestimmen, die für die Luftqualität, den Treibhauseffekt und die Ozonchemie wichtig sind. SCIAMACHY ist das erste und derzeit weltweit einzige Satelliteninstrument, das Messungen dieser Komplexität durchführt. Die Projektleitung liegt beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der niederländischen Raumfahrtagentur NSO (Netherlands Space Office). Die wissenschaftliche Leitung des Projektes hat das Institut für Fernerkundung und Umweltphysik (IFE/IUP) der Universität Bremen inne.

Quelle

DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.
Das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.) ist die deutsche Raumfahrtagentur. Es wurde 1969 durch den Zusammenschluss mehrerer Einrichtungen gegründet.

Webseite: http://www.dlr.de

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