Logo

Rosetta "Post-Mission": Neue Erkenntnisse zu Temperatur und Beschaffenheit der Kometenoberfläche
Fachbeitrag der VIRTIS-Wissenschaftler in Nature Astronomy

Geschrieben am 26.04.2019 in Kategorie: Mission "Rosetta" mit Lander "Philae"

Zweieinhalb Jahre sind seit dem Ende der operativen Phase der Mission Rosetta im September 2016 vergangen. Die wissenschaftliche Auswertung der Unmengen an Daten der Instrumente auf der Raumsonde und dem Lander Philae dauert weiter an. Neue Erkenntnisse zur Oberflächentemperatur und thermischen Effekten der "Badeenten-Form" des Kometen P67/Churyumov-Gerasimenko veröffentlichte das Wissenschaftlerteam des Instruments VIRTIS am 22. April 2019 in Nature Astronomy. Die deutschen wissenschaftlichen Beiträge zu VIRTIS leitet das Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Das Visible InfraRed and Thermal Imaging Spectrometer (VIRTIS) nahm an Bord des Rosetta-Orbiters von August bis September 2014 Infrarotbilder des Kometen auf; etwa ein Jahr, bevor der Komet seinen sonnennächsten Punkt passierte, den sogenannten Perihel. Im betrachteten Zeitraum war der Komet noch weit von der Sonne entfernt und seine Aktivität war noch gering. Die Forscher überführten die Bilder in thermische Karten.

Die Temperatur ist der wichtigste Parameter zur Ableitung der für Kometen typischen Gas- und Staubaktivität. Zunächst hat das VIRTIS-Team die Durchschnittstemperatur des Kometenkerns auf seiner Tagesseite gemessen. Während die durchschnittliche Oberflächentemperatur in den zwei Monaten circa minus 60 Grad Celsius betrug, stießen die Wissenschaftler auch auf Stellen, die mit etwa minus 43 Grad Celsius deutlich wärmer waren. Dort war eine Grube, eine Absenkung der Oberfläche, in der die Innenwände die Wärmestrahlung reflektierten und so zu einer stärkeren Erwärmung führten, die als Selbsterwärmung bezeichnet wird.

Am "Hals der Ente", der die beiden Hauptteile des Kometen verbindet, wirkt die Selbsterwärmung ebenfalls. Dort waren die Temperaturen höher als es aus den Gesetzmäßigkeiten einer Schwarzkörperstrahlung folgen würde. Unter der Annahme einer staubdominierten Oberfläche mit wenigen Millimetern Dicke und bei minimaler Sublimation flüchtiger Stoffe ist die Selbsterwärmung auf die Oberflächenrauigkeit zurückzuführen. Am "Hals" wird die Selbsterwärmung durch die markante konkave Form verstärkt.

Eine weitere bedeutende Messung betrifft die thermische Belastung durch plötzliche Schatten, die während der täglichen Sonneneinstrahlung abwechselnd von den beiden Hauptteilen des Kometen auf dem "Hals" geworfen wurden. Diese lokalen Abschattungen am "Hals" erzeugten extreme Temperaturunterschiede innerhalb von nur wenigen Minuten, die das Zehnfache dessen betragen können, das normale tageszeitliche Variationen der Temperatur in andern Oberflächenbereichen erreichen. "Um saisonale Temperatureffekte auf den Kern besser zu untersuchen, haben wir uns auf eine Region namens Imhotep konzentriert, die relativ glatt und weit vom 'Hals' entfernt ist und wo der Effekt der Selbsterwärmung erheblich geringer ist", sagt Gabriele Arnold vom DLR-Institut für Planetenforschung. "Hier verglichen wir die Beobachtungen von VIRTIS mit denen von MIRO, einem weiteren Instrument an Bord des Rosetta-Orbiters. MIRO erlaubte es, die Temperatur in größeren Tiefen des Kometen zu messen. Die Beobachtungen beider Instrumente lassen sich unter der Annahme erklären, dass eine dünne, von losem Staub dominierte Oberflächenschicht in der Region Imohotep vorhanden ist."

Imhotep wurde auch Monate später beobachtet, als der Komet viel näher an der Sonne war. Die aus VIRTIS gewonnenen Temperaturwerte waren deutlich höher als davor, aber geringer als erwartet, wenn man von einer Oberflächenschicht nur aus losem Staub ausgeht. Dies lässt die Forscher darauf schließen, dass sich die Zusammensetzung in der obersten Schicht im Laufe der Zeit verändert haben muss. Die Menge an flüchtigen Bestandteilen in ihr muss zugenommen haben. Dies führte zu einem erhöhten Sublimationsgrad, und einer stärkeren Aktivität des Kometen. Die wiederum kann die Oberflächentemperaturen im Vergleich zu einer reinen Staubschicht senken.

Alle Beobachtungsnachweise deuten auf einen Kometenkern hin, der aus thermischer Sicht von Phänomenen dominiert wird, die mit der Morphologie und dem chemischen und physikalischen Zustand der obersten dünnen, nur wenige Zentimeter dicken Oberflächenschicht verbunden sind. Im Untergrund sollte der Kern im Wesentlichen noch unverändert und nur schwach von den vorherigen Annäherungen an die Sonne beeinflusst sein.

Gabriele Arnold resümiert: "Die jetzt publizierten Arbeiten zeigen, dass die kontinuierliche Auswertung der großen Menge gewonnener Daten selbst Jahre nach dem Ende der Rosetta-Mission einzigartige Ergebnisse für die Kometenforschung und die Untersuchung des frühen Sonnensystems liefert".

Kometenmission Rosetta

Nach mehr als 20 Jahren, die Wissenschaftler und Ingenieure mit der Mission Rosetta beschäftigt waren, nach zehnjähriger Reise zum Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko und knapp 2 Jahren wissenschaftlicher Datenerfassung aus dem Orbit sowie von der Oberfläche durch den Lander Philae, wurde der operative Teil der Mission im September 2016 beendet und es hieß #GoodbyePhilae.

Rosetta war die erste Raumfahrtmission, die einen Kometen auf seiner Reise um die Sonne eng begleitet hat. Unter den vielen Entdeckungen am Kometen 67P erzielte Rosetta auch direkte und wiederholte Messungen der Oberflächentemperatur eines Kometenkerns mit einer beispiellosen räumlichen Auflösung. Daraus können thermische Eigenschaften und Aktivitätsmuster des Kerns abgeleitet werden.

Über VIRTIS

Das VIRTIS-Instrument an Bord des Rosetta-Orbiters nahm Infrarotbilder des Kometenkerns auf, die in thermische Karten umgewandelt wurden. So konnten im Spätsommer 2014, etwa ein Jahr vor der Perihelionpassage, Veränderungen der Kerntemperatur durchgehend über fast zwei Monate untersucht werden.

VIRTIS (Visible InfraRed and Thermal Imaging Spectrometer) ist das visuell-infrarote Spektrometer an Bord der ESA-Sonde Rosetta. Es lieferte Informationen zur Zusammensetzung des Kometenkerns sowie über die Verteilung des Materials an der Oberfläche, der Gase und Moleküle in seiner Koma. VIRTIS wurde von einem Konsortium unter der wissenschaftlichen Leitung des Istituto di Astrofisica e Planetologia Spaziali of INAF in Rom (Italien) gebaut, das auch den wissenschaftlichen Betrieb leitet. Zum Konsortium gehören das Laboratoire d’Études Spatiales et d’Instrumentation en Astrophysique of the Observatoire in Paris (Frankreich) und das Institut für Planetenforschung des DLR (Deutschland).

Die Entwicklung des Instruments wurde gefördert und koordiniert durch die nationalen Raumfahrtagenturen: Agenzia Spaziale Italiana (ASI, Italien), Centre National d’Études Spatiales (CNES, Frankreich) und des DLR (Deutschland). Unterstützt wurde die Mission vom Rosetta Science Operations Centre und dem Rosetta Mission Operations Centre.

Quelle

DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.
Das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.) ist die deutsche Raumfahrtagentur. Es wurde 1969 durch den Zusammenschluss mehrerer Einrichtungen gegründet.

Webseite: http://www.dlr.de

Gemessene und modellierte Oberflächentemperaturen des Kometen 67P
a, Temperaturbild ermittelt aus den VIRTIS-Daten vom 22. August 2014 aus einer Entfernung von 60 km oberhalb der Kometenoberfläche (räumliche Auflösung 15 m per Pixel). Die kältesten Temperaturen werden in dunklen Rottönen dargestellt, während die wärmsten Temperaturen weißlich sind.

b, Ergebnis der thermophysikalischen Modellierung (siehe Originalarbeit) für den gleichen Zeitraum der in a dargestellten VIRTIS-Beobachtungen. Die graue (schattierte) Farbe bezieht sich auf Punkte mit modellierten Temperaturwerten kleiner als -113 Grad Celsius, für die weder VIRTIS-Daten noch das Modell genaue Werte liefern können. Andere störende graue Punkte sind auf die Projektion der Daten auf die Form zurückzuführen.

c, Differenz zwischen den Temperaturwerte, die von VIRTIS gemessen und in a dargestellt werden, und theoretische Temperaturwerte, die in b modelliert werden. In dieser Präsentation markieren die blauen und blaugrünen Farben Bereiche des Kerns, in denen die modellierten Temperaturwerte deutlich größer sind als die gemessenen, während die inverse Relation durch die Farben von gelb nach rot angezeigt wird. Die grüne Farbe stellt eine wesentliche Übereinstimmung zwischen beobachteten und berechneten Daten dar.

d, Verteilung des Sonneneinfallswinkes: Winkelwerte auf dem digitalen Formmodell, das zur Charakterisierung der thermischen Daten verwendet wird. Es wird eine Regenbogenpalette verwendet, so dass kleine Werte blau, große Werte rot sind.

e, Verteilung der Emissionsausfallswinkelwerte auf dem digitalen Formmodell (gleicher Farbcode wie d.

f, Verteilung der wahren lokalen Sonnenzeit-Werte auf dem digitalen Formmodell. Es wird eine rot-gelb-blaue Palette verwendet, so dass helle Töne den Tag anzeigen, dunkle die Nacht, rötliche Farben entsprechen dem Vormittag und bläuliche Farben dem Nachmittag.
© VIRTIS-Team
Falschfarbendarstellung der Region Hapi auf 67P
Falschfarbendarstellung der Region Hapi auf Churyumov-Gerasimenko, die den Kopf und den Körper des Kometen verbindet. Hierfür wurden die Unterschiede im Reflexionsvermögen verstärkt, um die bläuliche Färbung in dieser Region zu betonen. Die Kenntnis des Reflexionsvermögens bildet einen Schlüssel zur Bestimmung der Oberflächenzusammensetzung. Die bläuliche Färbung deutet hier auf das Vorkommen von Wassereis an oder direkt unter der staubigen Oberfläche. Die Daten für diese Darstellung wurden am 21. August 2014 mit dem OSIRIS-Kamerasystem an Bord von Rosetta aus einer Entfernung von 70 Kilometern aufgenommen.
© ESA / Rosetta / MPS for OSIRIS Team MPS / UPD / LAM / IAA / SSO / INTA / UPM / DASP / IDA
Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko am 3. August 2014
Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko aufgenommen von Rosettas OSIRIS-Kamera am 3. August 2014 von 285 Kilometer Entfernung. Das Bild hat eine Auflösung von 5,3 Meter/Pixel.
© ESA / Rosetta / MPS for OSIRIS Team
Experiment VIRTIS
Mit dem Experiment VIRTIS auf dem Rosetta-Orbiter werden in den Wellenlängen des sichtbaren Lichts und im nahen Infrarot die Temperatur, die chemische und mineralogische Zusammensetzung so wie die räumliche Verteilung der gefundenen Elemente und Moleküle des Kometenkerns und der Koma gemessen.
© ESA - J. HUART