Geschrieben am 26.07.2018 in Kategorie: Astronomie
Beobachtungen mit dem Very Large Telescope der ESO haben zum ersten Mal die von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagten Auswirkungen auf die Bewegung eines Sterns zeigen können, der das extreme Gravitationsfeld in der Nähe des supermassereichen Schwarzen Lochs in der Mitte der Milchstraße durchwandert. Dieses lang ersehnte Ergebnis ist der Höhepunkt einer 26-jährigen Beobachtungskampagne mit den Teleskopen der ESO in Chile.
Das der Erde am nächsten gelegene supermassereiche Schwarze Loch befindet sich in 26.000 Lichtjahre Entfernung im Zentrum der Milchstraße. Dieses Schwerkraftmonster, dessen Masse vier Millionen Mal so groß ist wie die der Sonne, ist von einer kleinen Gruppe von Sternen umgeben, die mit hoher Geschwindigkeit darum kreisen. Diese extreme Umgebung – das stärkste Gravitationsfeld in unserer Galaxis - macht es zum perfekten Ort, um die Gravitationsphysik zu erforschen und insbesondere Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zu testen.
Neue Infrarotbeobachtungen der höchstempfindlichen Instrumente GRAVITY, SINFONI und NACO am Very Large Telescope (VLT) der ESO haben es Astronomen nun ermöglicht, einen dieser Sterne mit dem Namen S2 zu verfolgen, als er im Mai 2018 das Schwarze Loch passierte. Am nächsten Punkt war dieser Stern weniger als 20 Milliarden Kilometer vom Schwarzen Loch entfernt und bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von über 25 Millionen Kilometern pro Stunde – fast drei Prozent der Lichtgeschwindigkeit.
Das Team verglich die Positions- und Geschwindigkeitsmessungen von GRAVITY und SINFONI sowie frühere Beobachtungen von S2 mit anderen Instrumenten mit den Vorhersagen der Newtonschen Gravitation, der Allgemeinen Relativitätstheorie und anderen Gravitationstheorien. Die neuen Ergebnisse passen nicht zu den Newtonschen Vorhersagen und sind in ausgezeichneter Übereinstimmung mit den Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie.
Diese hochpräzisen Messungen wurden von einem internationalen Team unter der Leitung von Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garchingbei München zusammen mit Mitarbeitern aus aller Welt – am Observatoire de Paris-PSL, der Université Grenoble Alpes, dem CNRS, dem Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), der Universität zu Köln, dem portugiesischen CENTRA – Centro de Astrofisica e Gravitação und der ESO durchgeführt. Die Beobachtungen sind der Höhepunkt einer 26-jährigen Serie von immer genaueren Beobachtungen des Zentrums der Milchstraße mit ESO-Instrumenten.
"Dies ist das zweite Mal, dass wir den nahen Vorbeiflug von S2 um das Schwarze Loch im galaktischen Zentrum beobachtet haben. Aber diesmal konnten wir den Stern aufgrund der deutlich verbesserten Instrumentierung mit bisher unerreichter Auflösung beobachten", erklärt Genzel. "Seit mehreren Jahren haben wir uns intensiv auf dieses Ereignis vorbereitet, da wir bei dieser einmaligen Gelegenheit allgemeinrelativistische Effekte beobachten wollten."
Die neuen Messungen zeigen deutlich einen Effekt, der als Gravitationsrotverschiebung bezeichnet wird. Das Licht des Sterns wird durch das sehr starke Gravitationsfeld des Schwarzen Lochs auf längere Wellenlängen gestreckt. Die Änderung der Wellenlänge des Lichts von S2 stimmt genau mit der von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagten überein. Dies ist das erste Mal, dass diese Abweichung von den Vorhersagen der einfacheren Newtonschen Gravitationstheorie in der Bewegung eines Sterns um ein supermassereiches Schwarzes Loch beobachtet wurde.
Das Team verwendete SINFONI zur Messung des Geschwindigkeitsbeitrags von S2 zur Erde und von ihr weg und das GRAVITY-Instrument im VLT-Interferometer (VLTI) zur außergewöhnlich genauen Messung der sich ändernden Position von S2, um die Form seiner Umlaufbahn zu bestimmen. GRAVITY erzeugt so scharfe Bilder, dass es die Bewegung des Sterns von Nacht zu Nacht sichbar machen kann, wenn er in der Nähe des Schwarzen Lochs – 26.000 Lichtjahre von der Erde entfernt – vobeizieht.
"Unsere ersten Beobachtungen von S2 mit GRAVITY vor etwa zwei Jahren haben bereits gezeigt, dass wir das ideale Schwarzloch-Labor haben würden", ergänzt Frank Eisenhauer (MPE), leitender Wissenschaftler von GRAVITY und des SINFONI-Spektrografen."Während des nahen Vorbeiflugs konnten wir auf den meisten Bildern sogar das schwache Glühen rund um das Schwarze Loch erkennen. Damit konnten wir den Stern auf seiner Umlaufbahn extrem genau verfolgen, was schließlich zur Erkennung der gravitativen Rotverschiebung im Spektrum von S2 führte."
Mehr als einhundert Jahre nachdem er seinen Artikel mit den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie veröffentlicht hat, hat sich Einstein einmal mehr als richtig erwiesen – in einem viel extremeren Labor, als er es sich vorstellen konnte!
Françoise Delplancke, Leiterin der Abteilung Systemtechnik bei der ESO, erläutert die Bedeutung der Beobachtungen: "Hier im Sonnensystem können wir die Gesetze der Physik nur unter bestimmten Umständen testen. Deshalb ist es in der Astronomie sehr wichtig zu überprüfen, ob diese Gesetze noch gültig sind, wenn die Gravitationsfelder sehr viel stärker sind."
Weitere Beobachtungen dürften sehr bald einen weiteren relativistischen Effekt zeigen – eine kleine Rotation der Sternumlaufbahn, die als Schwarzschild-Präzession bezeichnet wird – wenn sich S2 vom Schwarzen Loch entfernt.
ESO-Generaldirektor Xavier Barcons schließt: "Die ESO arbeitet seit über einem Vierteljahrhundert mit Reinhard Genzel und seinem Team und seinen Kollgen in anderen ESO-Mitgliedsländern zusammen. Es war eine große Herausforderung, die einzigartigen leistungsfähigen Instrumente zu entwickeln, die für diese sehr empfindlichen Messungen benötigt werden, und sie am VLT auf dem Paranal einzusetzen. Die heute bekanntgegebene Entdeckung ist das sehr aufregende Ergebnis einer bemerkenswerten Partnerschaft."
ESO - Europäische Südsternwarte
Die "Europäische Organisation für astronomische Forschung in der südlichen Hemisphäre" oder auch kurz "Europäische Südsternwarte" ist ein Forschungsinstitut mit verschiedenen Observatorien.
Webseite: https://www.eso.org