Logo

Jubiläum auf der ISS: 25. Serie deutsch-russischer Plasmaphysik-Experimente beginnt

Geschrieben am 01.02.2010 in Kategorie: Missionen der bemannten Raumfahrt

Vom 27. bis 29. Januar 2010 startete der russische Kosmonaut Oleg Kotov die 25. Experimentserie zur Physik komplexer Plasmen auf der Internationalen Raumstation ISS.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat sowohl die Entwicklung der Experimentanlagen als auch die Forschung finanziell unterstützt. Zum Jubiläum ist die Plasma-Experimentieranlage PK-3 Plus von ihrem bisherigen Platz zwischen den russischen Stationsteilen "Zarya" und "Zvesda" in das kleine russische Forschungsmodul MIM-2 mit dem Namen "Poisk" (Suche) umgezogen, das seit November 2009 an die ISS angedockt ist. Damit wurde auch gleichzeitig die Betriebszeit von PK-3 Plus um zwei Jahre bis Ende 2011 verlängert.

Dauerhaftes Heim im All

An ihrem alten Platz musste PK-3 Plus ebenso wie die Vorgängeranlage PKE-Nefedov, die von 2001 bis 2005 ihren Dienst auf der ISS versah, zwischen den Experimentserien abgebaut und verstaut werden. Mit dem Umzug ins neue ISS-Modul hat die Experimentieranlage nach fünf Betriebsjahren ein dauerhaftes Heim auf der Raumstation gefunden. Dies spart zukünftig wertvolle Kosmonauten-Zeit. Zeit, die in Forschung und Wissenschaft investiert werden kann. Auch die Verschleißteile der Anlage, wie Schläuche, Verschlüsse und Verbindungen werden durch die dauerhafte Installation geschont. Pro Jahr führen die Wissenschaftler regelmäßig zwei bis drei Experimentserien durch.

Plasma - der vierte Aggregatzustand

Plasmen sind elektrisch geladene Gase und gelten neben Feststoff, Flüssigkeit und Gas als der vierte, der ungeordnetste Aggregatzustand der Materie. Sie sind der Stoff, aus dem Blitze und Polarlichter bestehen. In unserem Alltag lassen sie Plasmalampen und Leuchtstoffröhren glühen. Komplexe Plasmen, enthalten im Gegensatz zu einfachen Plasmen zusätzlich Staubpartikel. In den Experimenten auf der ISS wird das Plasma eines Edelgases, Argon oder Neon, in einem elektrischen Feld zwischen zwei Elektroden erzeugt.

In dieses werden Partikel aus Kunststoff injiziert, die nur wenige Mikrometer Durchmesser besitzen. Die Teilchen laden sich im Plasma mit gleichem Vorzeichen auf. Ihr Bestreben, dann einen möglichst großen Abstand voneinander einzunehmen, führt zu ihrer strukturellen Ordnung bis hin zur Ausbildung einer Kristallstruktur, die der vieler Metallen gleicht und die als "Plasmakristall" bezeichnet wird.

Durch Änderung des elektrischen Feldes und des Gasdrucks in der Plasmakammer können die Wissenschaftler den Plasmakristall schmelzen und erstarren lassen und so Aggregatübergänge untersuchen. Das Besondere ist hierbei, dass diese Vorgänge viel langsamer ablaufen als bei "normalen" Stoffen und die Positionsänderung jedes einzelnen Staubpartikels mit der Kamera verfolgt werden kann. Die Wissenschaftler sehen direkt in die Materie hinein. So können sie unter anderem die Wechselwirkung der Teilchen untereinander bei der Ausbreitung von Wellen, turbulenten Strömungen und der Entmischung verschiedener Teilchensorten beobachten.

Die dafür notwendigen, großen dreidimensionale, komplexe Plasmen können nur in Schwerelosigkeit realisiert werden. Denn unter dem Einfluss der Erdschwerkraft fallen die Staubteilchen nach unten, und das komplexe Plasma bildet nur eine dünne Schicht. Aus den in Schwerelosigkeit gewonnenen wissenschaftlichen Daten sind bis dato mehr als 40 international anerkannte Veröffentlichungen in Fachjournalen entstanden.

Von komplexen Plasmen lernen: vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in der Materialforschung

Mit den Experimenten unter Schwerelosigkeit konnte nachgewiesen werden, dass komplexe Plasmen der Klasse der weichen Materie zugeordnet werden können. Dazu gehören auch Kolloide, Gele und Granulate. Sie bestehen aus Molekülen, Partikeln, Tröpfchen oder Gasblasen im Milli- bis Nanometer-Bereich, die fein in einer Flüssigkeit oder einem Gas verteilt sind.

Im Alltag begegnet uns weiche Materie überall: Milch, Schaum, Zahncreme und Sand gehören dazu. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich wie ein Festkörper oder wie eine Flüssigkeit verhalten können. Sand kann zum Beispiel wie Wasser in ein Gefäß fließen und dessen Form annehmen, aber ein großer schwerer Stein liegt auf Sand wie auf einer festen Oberfläche und sinkt nicht ein. Die Physik der weichen Materie und vor allem die Vorhersagbarkeit von Eigenschaften zur Entwicklung von Designermaterialien sind daher hochaktuell für viele Industriezweige.

Spin-Off für die Medizin

Aus der Geräteentwicklung für den Weltraum und die Experimenten hat sich ein hoch interessanter Spin-Off für die Medizin ergeben, nämlich die Entwicklung der so genannten "Plasmafackel". Hierbei handelt es sich um ein kleines medizinisches Gerät, mit dem kalte Plasmen zur Sterilisation und Therapie chronischer, Antibiotika-resistenter Wunden erzeugt werden können. Es wird bereits in einer klinischen Studie an mehr als 100 Patienten getestet.

Automatischer Ablauf der Experimente

Jede Experimentserie zur Physik komplexer Plasmen enthält in der Regel drei zirka 90-minütige Experimentläufe, die an drei hintereinander liegenden Tagen durchgeführt werden. Entwickelt und durchgeführt wird das Forschungsprogramm vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching und dem Institut für Hochenergiedichten (JIHT) der russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Bevor es soweit war, legten die Wissenschaftler von MPE und JIHT die Versuchsabläufe fest, schrieben die neue Experiment-Software und testeten sie im Trainingsmodell der Experimentanlage in Moskau. Erst dann konnte sie zur ISS geschickt und von den Kosmonauten implementiert werden.

Bevor die Experimente starten können, muss etwa zwei Tage lang die Luft aus der Plasmakammer herausgepumpt werden. So wird ein Vakuum erzeugt, bevor das Experiment-Gas und die Teilchen eingefüllt werden können. Die Experimente laufen in der Regel automatisch ab, zur Kontrolle werden am Beginn kurze Videosequenzen übertragen. Besonders diffizile Experimente führen die Kosmonauten manchmal auch manuell im Sprechkontakt mit den Wissenschaftlern durch. Die Einstell- und Kontroll-Daten der Experimentieranlage werden schnell via E-Mail von der ISS ins russische Raumfahrtkontrollzentrum ZUP in Moskau übertragen, auf die Videodaten müssen die Forscher noch warten. Die Festplatten werden erst mit der nächsten Sojus-Kapsel zusammen mit den Kosmonauten zurück zur Erde gebracht.

Quelle

DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.
Das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.) ist die deutsche Raumfahrtagentur. Es wurde 1969 durch den Zusammenschluss mehrerer Einrichtungen gegründet.

Webseite: http://www.dlr.de

Kosmonaut Oleg Kotov mit PK-3-Plus-Anlage
Kosmonaut Oleg Kotov inspiziert die PK-3-Plus-Anlage, die von einer schwarzen Tonne umschlossen wird, an ihrem neuen Platz im russischen Forschungsmodul MIM-2 ("Poisk").
© RKK-Energia
Komplexes Plasma in Schwerelosigkeit
Zwischen den beiden Elektroden am oberen und unteren Bildrand befindet sich das Plasma. Unter Schwerelosigkeit können sich die Staub-Partikel frei im Raum verteilen und so große, dreidimensionale Strukturen und Kristalle bilden.
© Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Komplexes Plasma unter Schwerkraft-Einfluss
Unter den Bedingungen der Schwerkraft sammeln sich die Staub-Partikel im unteren Bereich, der entstandene Plasmakristall bildet nur eine flache Schicht.
© Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Das neue ISS-Modul MIM-2
Der neueste Zuwachs auf der ISS ist das russische Modul MIM-2, genannt "Poisk" (Suche). Darin ist nun die Experimentanlage PK-3 Plus für die Untersuchung komplexer Plasmen untergebracht.
© NASA