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Halbzeit bei ISS-Experiment: Neue Strömungseffekte in Schwerelosigkeit entdeckt

Geschrieben am 01.04.2011 in Kategorie: Missionen der bemannten Raumfahrt

Zur Halbzeit des Strömungsforschungsexperiments Capillary Channel Flow (CCF) sind deutsche und amerikanische Wissenschaftler bei der Datenauswertung auf Effekte gestoßen, die zuvor noch nie beobachtet wurden.

Die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützte Versuchsreihe trägt dazu bei, das Strömungsverhalten von Flüssigkeiten unter dem Einfluss der Schwerelosigkeit besser zu verstehen. Das auf der Internationalen Raumstation ISS durchgeführte Experiment wird direkt vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen von der Erde aus gesteuert.

Ob Raumsonde, Fernsehsatellit oder zukünftige bemannte Raummissionen: An Bord von Weltraumfahrzeugen ist ein zuverlässiger Flüssigkeitstransport von entscheidender Bedeutung. Das gilt sowohl für Treibstoffe als auch für Wasser und verflüssigte Gase. Auf der Erde treten für gewöhnlich keine Probleme auf: Benzin in einem Autotank schwappt dank der Erdanziehung immer am Boden. Unter Schwerelosigkeit hingegen verteilt sich der Treibstoff überall im Behälter.

Wie ist es unter diesen Umständen im All möglich, Flüssigkeiten blasenfrei zu transportieren? Welche maximalen Strömungsgeschwindigkeiten können erreicht werden, ohne dass der Flüssigkeitsstrom abreißt? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben die Forscher die CCF-Apparatur mit zwei unterschiedlichen Experimenteinheiten zur ISS geschickt. Die Apparatur selbst besteht aus einer Pumpe, die aus einem Tank Modellflüssigkeiten durch seitlich offene Leitungen - die sogenannten Kapillarkanäle - saugt. In Experimenteinheit 1 bestehen diese Leitungen aus parallelen, in Experimenteinheit 2 aus V-förmigen Glasplatten. Nach der Halbzeit werden diese Einheiten ausgetauscht.

Neue Erkenntnisse für innovative Treibstoffleitungen

Bislang nahmen die Forscher an, dass der Abschnitt der Kapillarkanäle, der in unmittelbarer Nähe der Pumpe liegt, entscheidend für das Strömungsverhalten sei. An dieser Stelle bilden sich Einschnürungen im Flüssigkeitsstrom, die bei einer Erhöhung der Pumpenleistung Sauerstoffblasen einschließen, die dann mitgesogen werden. Sie lassen den Strom im schlimmsten Fall abreißen. Die Forscher sprechen hier vom kritischen Volumenstrom. Die neuesten Daten belegen aber, dass gerade in langen Kapillarkanälen der Bereich, der weit von der Pumpe entfernt liegt, überraschenderweise einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung der Einschnürungen und damit auf diesen kritischen Volumenstrom nimmt.

Mit diesen Erkenntnissen hoffen die Wissenschaftler Modelle für maßgeschneiderte Treibstoffleitungen entwickeln zu können. Diese sollen flüssigen Treibstoff im Tank bei einer orbitalen Zündung des Raketentriebwerks optimal zur Auslassöffnung befördern und dem Triebwerk blasenfrei zur Verfügung stellen. Die Stoffeigenschaften der Modellflüssigkeit wie Zähigkeit, Dichte und Oberflächenspannung sind so gewählt, dass sie in Kombination mit der Geometrie des Testkanals realen Treibstofftransporten sehr ähnlich sind. Dadurch sind die Ergebnisse vom Modell auf der ISS leicht auf eine Anwendung im Raumfahrzeugtank übertragbar. Dafür modellieren die Forscher anhand von Gleichungen der Strömungsmechanik mathematisch, welche Kräfte wirksam sind und wie diese zusammenspielen. Diese theoretischen Berechnungen können nur durch Experimente unter Schwerelosigkeit bestätigt werden.

Täglich frische Daten aus dem Weltall

Auf der ISS filmt eine hochauflösende Kamera zunächst den Testkanal mit den freien Oberflächen. Anschließend werden ihre aufbereiteten und komprimierten Daten direkt zum CCF-Team des ZARM gesendet und von den Versuchsleitern genutzt, um jeweils den nächsten Versuchslauf gezielt vorzubereiten. Das Team kann die Steuerbefehle direkt zur ISS senden und den Verlauf des Experiments beobachten. Daten von den Versuchsabläufen treffen täglich auf den Monitoren der Wissenschaftler ein. Ein Versuchsablauf wird bis zu 25 Sekunden lang aufgezeichnet.

Bislang haben wir mehr als 900 Datensätze gesammelt, die von telemetrischen Messungen und von Aufzeichnungen einer Highspeed-Kamera stammen. Die Daten bestätigen, dass die bisherige mathematische Modellrechnung für die Flussgeschwindigkeit in Schwerelosigkeit aufrecht erhalten werden kann, erklärt Projektleiter Prof. Michael Dreyer. Rund um die Uhr und sieben Tage die Woche arbeiten die Wissenschaftler vom ZARM und der Portland State University an der Umsetzung des Experiments.

Bilaterale Kooperation

Dieses Projekt ist eine bilaterale Kooperation zwischen dem DLR und der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA. Die US-amerikanische Seite ist für den Transport der Apparatur zur ISS, deren dortigen Betrieb und das Astronautentraining verantwortlich. Deutschland stellt die Apparatur für den Bordeinsatz, die von der Firma EADS Astrium in Friedrichshafen gebaut wurde, sowie ein Ingenieurs- und Trainingsmodell zur Verfügung.

Quelle

DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.
Das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.) ist die deutsche Raumfahrtagentur. Es wurde 1969 durch den Zusammenschluss mehrerer Einrichtungen gegründet.

Webseite: http://www.dlr.de

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© NASA
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© ZARM