Geschrieben am 04.11.2021 in Kategorie: Astronomie
Eine neue Entdeckung gibt Aufschluss darüber, wie Fluor – ein Element, das in unseren Knochen und Zähnen als Fluorid vorkommt – im Universum entsteht. Mit Hilfe des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA), an dem die Europäische Südsternwarte (ESO) beteiligt ist, hat ein Team von Astronomen dieses Element in einer Galaxie entdeckt, die so weit entfernt ist, dass ihr Licht über 12 Milliarden Jahre gebraucht hat, um uns zu erreichen. Dies ist das erste Mal, dass Fluor in einer so weit entfernten sternbildenden Galaxie entdeckt wurde.
„Wir alle kennen Fluor, denn die Zahnpasta, die wir täglich benutzen, enthält es in Form von Fluorid“, sagt Maximilien Franco von der Universität Hertfordshire im Vereinigten Königreich, der die neue Studie leitete, die heute in Nature Astronomy veröffentlicht wurde. Wie die meisten Elemente, die uns umgeben, entsteht Fluor im Inneren von Sternen. Bis jetzt war allerdings nicht genau bekannt, wie dieses Element erzeugt wird. „Wir wussten nicht einmal, welche Art von Sternen den Großteil des Fluors im Universum produziert!“
Franco und seine Mitwirkenden entdeckten Fluor (in Form von Fluorwasserstoff) in den großen Gaswolken der weit entfernten Galaxie NGP-190387, die wir so sehen, wie sie war, als das Universum nur 1,4 Milliarden Jahre alt war, etwa 10 % seines heutigen Alters. Da Sterne die Elemente, die sie in ihren Kernen bilden, am Ende ihres Lebens ausstoßen, bedeutet diese Entdeckung, dass die Sterne, die Fluor erzeugt haben, früh gelebt haben müssen und schnell gestorben sind.
Das Team geht davon aus, dass Wolf-Rayet-Sterne, sehr massereiche Sterne, die nur wenige Millionen Jahre alt sind – ein Wimpernschlag in der Geschichte des Universums –, die wahrscheinlichsten Produktionsstätten von Fluor sind. Sie werden benötigt, um die Mengen an Fluorwasserstoff zu erklären, die das Team entdeckt hat, sagen sie. Wolf-Rayet-Sterne wurden schon früher als mögliche Quellen für kosmisches Fluor vorgeschlagen, aber Astronomen wussten bis jetzt nicht, wie wichtig sie für die Produktion dieses Elements im frühen Universum waren.
„Wir haben gezeigt, dass Wolf-Rayet-Sterne, die zu den massereichsten bekannten Sternen gehören und am Ende ihres Lebens heftig explodieren können, uns in gewisser Weise helfen, unsere Zähne gesund zu erhalten“, scherzt Franco.
Neben diesen Sternen sind in der Vergangenheit auch andere Szenarien für die Entstehung und den Ausstoß von Fluor vorgeschlagen worden. Ein Beispiel sind die Pulsationen riesiger, älterer Sterne mit einer Masse, die nur wenige Male so groß ist wie die unserer Sonne, so genannte asymptotische Riesensterne. Das Team ist jedoch der Ansicht, dass diese Szenarien die Menge an Fluor in NGP-190387 nicht vollständig erklären können, da einige von ihnen Milliarden von Jahren benötigen.
„Bei dieser Galaxie dauerte es nur einige Dutzend oder Hunderte Millionen Jahre, um Fluorwerte zu erreichen, die mit denen von Sternen in der Milchstraße vergleichbar sind und 13,5 Milliarden Jahre alt sind. Das war ein völlig unerwartetes Ergebnis“, sagt Chiaki Kobayashi, Professor an der Universität von Hertfordshire. „Unsere Messung liefert einen völlig neuen Hinweis auf die Herkunft von Fluor, das seit zwei Jahrzehnten untersucht wird.“
Der Fund in NGP-190387 ist eine der ersten Entdeckungen von Fluor außerhalb der Milchstraße und ihrer Nachbargalaxien. Astronominnen und Astronomen haben dieses Element bereits in weit entfernten Quasaren entdeckt, hellen Objekten, die von supermassereichen schwarzen Löchern im Zentrum einiger Galaxien angetrieben werden. Aber noch nie zuvor wurde dieses Element in einer sternbildenden Galaxie so früh in der Geschichte des Universums beobachtet.
Der Nachweis von Fluor war eine Zufallsentdeckung des Teams, die dank des Einsatzes von Observatorien im Weltraum und am Erdboden möglich wurde. NGP-190387, die ursprünglich mit dem Herschel-Weltraumobservatorium der Europäischen Weltraumorganisation entdeckt und später mit dem chilenischen ALMA beobachtet wurde, ist für ihre Entfernung außerordentlich hell. Die ALMA-Daten bestätigten, dass die außergewöhnliche Helligkeit von NGP-190387 zum Teil durch eine andere bekannte massereiche Galaxie verursacht wird, die sich zwischen NGP-190387 und der Erde befindet und sehr nahe an der Sichtlinie liegt. Diese massereiche Galaxie verstärkte das von Franco und seinen Mitarbeitern beobachtete Licht und ermöglichte es ihnen, die schwache Strahlung zu erkennen, die vor Milliarden von Jahren vom Fluor in NGP-190387 ausgesandt wurde.
Künftige Untersuchungen von NGP-190387 mit dem Extremely Large Telescope (ELT), dem neuen Spitzenprojekt der ESO, das derzeit in Chile gebaut wird und noch in diesem Jahrzehnt in Betrieb gehen soll, könnten weitere Geheimnisse dieser Galaxie lüften. „ALMA ist empfindlich für Strahlung, die von kaltem interstellarem Gas und Staub ausgeht“, sagt Chentao Yang, ein ESO-Fellow in Chile. „Mit dem ELT werden wir in der Lage sein, NGP-190387 durch das unmittelbar von den Sternen ausgehende Licht zu beobachten und so entscheidende Informationen über den Sterngehalt dieser Galaxie zu gewinnen.“
Diese Untersuchungen wurden in der Veröffentlichung „The ramp-up of interstellar medium enrichment at z > 4“ vorgestellt, die in Nature Astronomy erscheint.
Das Team besteht aus M. Franco (Centre for Astrophysics Research, University of Hertfordshire, UK [CAR]), K. E. K. Coppin (CAR), J. E. Geach (CAR), C. Kobayashi (CAR), S. C. Chapman (Department of Physics and Atmospheric Science, Dalhousie University, Canada and National Research Council, Herzberg Astronomy and Astrophysics, Canada), C. Yang (Europäische Südsternwarte, Chile), E. González-Alfonso (Universidad de Alcalá, Departamento de Física y Matematicas, Spanien), J. S. Spilker ( Department of Astronomy, University of Texas at Austin, USA), A. Cooray (Department of Physics and Astronomy, University of California, Irvine, USA), M. J. Michałowski (Astronomical Observatory Institute, Faculty of Physics, Polen).
Die Europäische Südsternwarte (ESO) befähigt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit, die Geheimnisse des Universums zum Nutzen aller zu entdecken. Wir entwerfen, bauen und betreiben Observatorien von Weltrang, die Astronominnen und Astronomen nutzen, um spannende Fragen zu beantworten und die Faszination der Astronomie zu wecken, und wir fördern die internationale Zusammenarbeit in der Astronomie. Die ESO wurde 1962 als zwischenstaatliche Organisation gegründet und wird heute von 16 Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, der Schweiz, Spanien, der Tschechischen Republik und dem Vereinigten Königreich) sowie dem Gastland Chile und Australien als strategischem Partner unterstützt. Der Hauptsitz der ESO und ihr Besucherzentrum und Planetarium, die ESO Supernova, befinden sich in der Nähe von München in Deutschland, während die chilenische Atacama-Wüste, ein wunderbarer Ort mit einzigartigen Bedingungen für die Himmelsbeobachtung, unsere Teleskope beherbergt. Die ESO betreibt drei Beobachtungsstandorte: La Silla, Paranal und Chajnantor. Am Standort Paranal betreibt die ESO das Very Large Telescope und das dazugehörige Very Large Telescope Interferometer sowie zwei Durchmusterungsteleskope, VISTA, das im Infraroten arbeitet, und das VLT Survey Telescope für sichtbares Licht. Ebenfalls am Paranal wird die ESO das Cherenkov Telescope Array South betreiben, das größte und empfindlichste Gammastrahlen-Observatorium der Welt. Zusammen mit internationalen Partnern betreibt die ESO auf Chajnantor APEX und ALMA, zwei Einrichtungen zur Beobachtung des Himmels im Millimeter- und Submillimeterbereich. Auf dem Cerro Armazones in der Nähe von Paranal bauen wir „das größte Auge der Welt am Himmel“ – das Extremely Large Telescope der ESO. Von unseren Büros in Santiago, Chile, aus unterstützen wir unsere Aktivitäten im Land und arbeiten mit chilenischen Partnern und der Gesellschaft zusammen.
Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) ist eine internationale astronomische Einrichtung, die gemeinsam von der ESO, der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF) der USA und den japanischen National Institutes of Natural Sciences (NINS) in Kooperation mit der Republik Chile betrieben wird. Getragen wird ALMA von der ESO im Namen ihrer Mitgliedsländer, von der NSF in Zusammenarbeit mit dem kanadischen National Research Council (NRC), dem Ministry of Science and Technology (MOST) und NINS in Kooperation mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan sowie dem Korea Astronomy and Space Science Institute (KASI). Bei Entwicklung, Aufbau und Betrieb ist die ESO federführend für den europäischen Beitrag, das National Radio Astronomy Observatory (NRAO), das seinerseits von Associated Universities, Inc. (AUI) betrieben wird, für den nordamerikanischen Beitrag und das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) für den ostasiatischen Beitrag. Dem Joint ALMA Observatory (JAO) obliegt die übergreifende Projektleitung für den Aufbau, die Inbetriebnahme und den Beobachtungsbetrieb von ALMA.
Die University of Hertfordshire macht die transformative Wirkung der Hochschulbildung für alle zugänglich. Ihre Studierenden, ihr Personal und ihre Unternehmen schöpfen ihr Potenzial konsequent aus. Durch qualitativ hochwertige Lehre, 550 Studiengänge, innovative Forschungsprojekte und leistungsstarke Partnerschaften mit Unternehmen denkt sie über den Tellerrand hinaus, hebt sich ab und hat positive Auswirkungen auf lokale, nationale und internationale Bevölkerungsgruppen.
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
ESO - Europäische Südsternwarte
Die "Europäische Organisation für astronomische Forschung in der südlichen Hemisphäre" oder auch kurz "Europäische Südsternwarte" ist ein Forschungsinstitut mit verschiedenen Observatorien.
Webseite: https://www.eso.org